Der kleine Kolibri

Diese Geschichte soll dir zeigen das Jeder mit auch noch so kleinen dingen die ganze Welt verändern kann.

Ein PDF als Download gibt es am Ende.

Der kleine Kolibri

Märchen der indigenen Völker Südamerikas

Es war einmal ein kleiner Vogel. Er war ein Kolibri. Der Vogel hatte helle Augen und ein wunderbar buntes Gefieder. Er lebte in einem großen Wald. Der Wald war so alt, dass man nicht mehr weiß, wann der erste Baum gewachsen war. Seit man sich Geschichten erzählt, war er da, dieser Wald, in dem der kleine Vogel zu Hause war. Sein Nest lag auf den Zweigen eines Baumes. Der Baum, auf dem der Kolibri wohnte, stand schon sehr lange in diesem Wald. Sein Stamm war dick und furchig von all dem, was er erlebt hatte. Seine Krone und seine Blätter reichten weit in den Himmel hinein und spannten sich breit über den Boden. Mit diesem Baum lebte der Kolibri zusammen. Sie waren Freunde, der große Baum und der kleine Vogel und oft erzählten sie einander Geschichten. Manchmal erzählte der Baum und manchmal erzählte der Kolibri: Der Baum erzählte von früher, von Baumweisheiten und dem Großen. Der Vogel erzählte vom Fliegen, von Vogelweisheiten und dem Kleinen. Beide waren glücklich, einander zu haben, zu erzählen und zuzuhören.

An einem Tag, als der Kolibri auf den Zweigen des Baumes saß und von der Weite erzählte, reckte er plötzlich seinen Schnabel in die Höhe. Etwas roch anders. Es roch nach Wärme, nach braunem Holz und nach Harz – Es roch nach Rauch. Sofort sagte der kleine Freund dem großen Bescheid. „Baum“, sagte der Kolibri, „ich rieche Rauch in der Luft. Woher das wohl kommt?“ Besorgt flog der kleine Vogel hoch über den Wald. Immer höher und höher stieg er, um den Grund für den neuen Geruch zu erkennen. Als er so hochgeflogen war, dass die Sonne auf seinen bunten Federn in allen Farben glitzerte, sah er in der Ferne ein Feuer. Der Wald brannte und das Feuer kam geradewegs in jene Richtung, in der die beiden Freunde lebten. Es kam näher.

So schnell ihn seine Flügel trugen, flog der Kolibri zu seinem Freund zurück. Schon von Weitem rief er dem Baum zu: “Du, Baum, der Wald brennt!“. Der Baum erwiderte: “Ja, wenn das so ist, dann musst du weg, kleiner Kolibri. Flieg fort und rette dein Leben.“ Verständnislos rief der kleine Vogel zurück: “Ja und du?“. Der Baum fühlte seine Wurzeln, die Weit reichten, seinen Stamm der ruhig in den Himmel reichte. Er fühlte seine Verbundenheit und sagte:“ Ich bleibe hier!“ „Das geht nicht!“, rief der Kolibri zurück, „ich will dir helfen!“ und obwohl der Baum keine Anstalten machte, sich zu bewegen, fest verwurzelt und gelassen dastand, überlegte der Kolibri fieberhaft, was er tun könnte, um seinem Freund zu helfen. Ganz leuchtend wurden seine Augen und funkelnd sein Gefieder vor lauter Anstrengung, eine Lösung zu finden. Plötzlich kam ihm eine Idee. „Jetzt weiß ich es!“, rief er dem Baum zu. Voller Entschlossenheit spannte er seine kleinen Flügel erneut zum Flug aus – flog weg von seinem Freund zum Fluss. Dort sah er viele Tiere, die über den Fluss schwammen, um ihr Leben zu retten. Er sah aber auch viele Tiere, die aufgeregt am Ufer hin und her rannten, weil auch sie hinüberwollten, es aber nicht konnten. Der kleine Vogel war entschlossen. Der Ruf seines Herzens klar und deutlich. Bis in die letzte Federspitze fühlte er die Kraft seiner Überzeugung und so stieß er hinab zum Fluss und glitt der Wasseroberfläche entlang. Er fühlte den Wind in den Federn und das klare Wasser an seinem Bauch, wie kleine kühle Perlen. So viel Wasser als nur möglich füllte der Kolibri nun in seinen Schnabel, flog erneut hinauf – weg vom Fluss, dem Feuer entgegen. Er fühlte die Kraft des Feuers. Die Wärme sickerte durch seine Federn. Heißer und heißer wurde es. Doch er flog weiter in diese rote Welt hinein. Als er beinahe glaubte, nun selbst Feuer geworden zu sein, spie er das Wasser in die Flammen.

Wie der Baum dies sah, rief er: „Kolibri, was machst du da?“ Das nützt doch nichts! Das Feuer ist groß und dein Schnabel klein!“ Doch der kleine Vogel hörte nicht hin. Immer wieder flog er zum Fluss und dann zurück zum Feuer. Immer wieder füllte er seinen kleinen Schnabel mit Wasser, um es in das große Feuer zu speien. Hin und her – Hin und her flog der Kolibri. Zu dieser Zeit, als der kleine Kolibri seinen Freund zu retten versuchte, fest dem Ruf seines Herzens folgte, schaute Gott gerade auf die Erde. Weil Gott alles sieht, sah er auch, dass da ein Wald brennt. Er sah, wie sich das Grün des Waldes mit dem Rot der Flammen mischte Er hörte wie Holz knackte und Flammen knisterten. Er sah und hörte und dachte sich: „So ist es bei einem Waldbrand. Altes geht und Neues kommt.“ Gott sah und hörte weiter hin. Er lauschte den Klängen und den Farben des Vergehens und Werdens und allmählich hörte er auch etwas anderes. Er hörte das stetige, unermüdliche Auf- und Abschlagen winziger Flügel. Er horchte eine innere Überzeugung. Überrascht über seine Entdeckung folgte er dem Geräusch mit den Augen und fand den kleinen Kolibri, unermüdlich hin und her fliegend, seinen kleinen Schnabel füllend und Wasser speiend – dem Feuer entgegen. Nachdenklich schüttelte Gott den Kopf. „Was macht dieser kleine Kolibri da?“, fragte er sich.

„Was machst du da?“, flüsterte so Gott dem kleinen Kolibri ins Ohr, „das nützt doch nichts!“ Der kleine Kolibri hörte die Stimme in seinem Ohr und antwortete mit der Überzeugung eines kleinen Vogels: „Ich mache das, was ich kann, mit dem was ich habe!“

Gott hörte die Antwort. Wie die Wärme des Feuers in das Gefieder des Kolibris sickerte, sickerte die Antwort des kleinen Vogels in sein Herz. Sie breitete sich wärmend aus und berührte es, machte es ganz offen und weit. Vom Herz erreichten die Worte des Kolibris die Augen von Gott. Tränen rannen ihm über die Wangen, tropften vom Himmel auf die Erde und auf das Feuer. Tropfen für Tropfen und Tränen für Tränen rannen zum Feuer und löschten es nach und nach, bis schließlich nur noch ein geheimnisvoller Dunst über dem alten Wald lag.

Am nächsten Morgen, als die Sonne über dem großen alten Wald aufging, verging der Dunst. An diesem Morgen hielt Gott nach dem Kleinen Ausschau. Nach einer Weile sah er inmitten eines großen Baumes, schillernde Farben, leuchtende Federn, die das Licht der Sonne auffingen. An diesem Tag lauschte und horchte er den Geschichten, die sich zwei Freunde erzählten.

Diese schöne Geschichte vom kleinen Kolibri zeigt uns, dass jeder, wirklich jeder etwas verändern kann. Es ist nicht wichtig wie viel du tust, jedoch wichtig das du etwas tust.